Im Jahr 1985 hatte ich ein Vorstellungsgespräch in einer Bank. Zu dritt saßen wir Anwärter auf einen Ausbildungsplatz vor den Personalbetreuern und beantworteten, so gut es eben ging, ihre Fragen. Doch dann stockten wir alle drei, denn wir wurden nach unseren guten Eigenschaften gefragt. Keiner von uns rührte sich, denn vermutlich dachten auch die beiden anderen dasselbe wie ich: „Ich kann doch hier nicht einfach so angeben. Das macht man einfach nicht!“ Ich hörte quasi meine Oma mit ihrem Lieblingszitat, das sie gerne benutzte, wenn sie mal wieder von einem Skandal in ihren geliebten Klatschblättchen las: „Hochmut kommt vor dem Fall.“
Wollte ich in einem Vorstellungsgespräch arrogant ankommen? Natürlich nicht. Aber andererseits hatte der Personalbetreuer ja ausdrücklich danach gefragt. Also gab ich mir einen Ruck und sagte offen, dass ich so erzogen wurde, dass es sich nicht gehört, sich selbst zu loben, aber da ja eine Antwort erwünscht wurde, würde ich eben beginnen. Die augenzwinkernde Antwort des Prüfers war: „Eine gute Eigenschaft kennen wir jetzt schon von Ihnen, Sie sind mutig!“
Später wurde uns dreien klar: Hier ging es nicht um ein Prahlen, sondern einfach nur um gesundes Selbstvertrauen. Zeig, was du kannst, aber belächle nicht andere, die dazu (noch) nicht in der Lage sind. Es ist nicht schändlich, seine Fähigkeiten zu benennen.
Nur wer sich selbst überschätzt oder wegen seiner Talente geringschätzig auf andere herabschaut, ist auch tatsächlich hochmütig. Im Wochenspruch für diese Woche thematisiert dies auch Petrus in einem Brief an seine Gemeinde: „Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade.“ (1.Petrus 5,5b) Dabei ruft er die Ältesten der Gemeinde auf, ihre Gemeinden aus freiem Willen zu leiten und zu lehren ohne nach Gewinn zu trachten oder über die Gemeinde herrschen zu wollen. Und auch die Jüngeren in den Gemeinden sollen sich nicht über die Älteren erheben, sondern auf ihre Ratschläge hören. Und alle gemeinsam sollen dabei in Demut leben.
Demut – wann haben Sie das Wort das letzte Mal verwendet? Ich könnte es von mir nicht sagen und denke erst mal an Unterwerfung und absolute Ergebenheit. Aber dann schaue ich mir noch eine Definition an: „Demut – das Zurückzunehmen der eigenen Interessen gegenüber einer höheren Macht oder gegenüber einer Gemeinschaft.“ Wer demütig ist, stellt demnach seine eigenen Ansprüche nicht in den Vordergrund und hat das auch nicht nötig. Ein schöner und erstrebenswerter Gedanke: Wir zeigen uns demütig vor Gott, aber auch und gerade im Zusammenleben mit unseren Mitmenschen. Das würde so manches Kräftemessen, z.B. im Berufsleben, im Keim ersticken und zu vermutlich schnelleren und produktiveren Ergebnissen führen. Also üben wir uns in Demut, indem wir selbstbewusst unsere von Gott gegebenen Talente einsetzen, aber dabei nicht hochmütig auf andere herabschauen. Das können wir jeden Tag neu versuchen und dabei auf Gottes Gnade hoffen. Amen
Einen gesegneten Sonntag wünscht Ihnen und euch
Vera Schwarz
Lektorin der Kirchengemeinden Niederdorfelden und Gronau
Herzliche Einladung zum Gottesdienst am Sonntag, 20.8.23 um 10 Uhr in Gronau.
Bild: Von Lestat (Jan Mehlich) – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0