Liebe Leserinnen und Leser,
der kommende Sonntag heißt „Rogate“ – übersetzt „Betet“. Das macht mich etwas ratlos, denn diese Aufforderung richtet sich ja an mehrere Menschen. Vermutlich sind das die Menschen in den Kirchen – und eigentlich passiert das doch schon. Beten wir nicht in jedem Gottesdienst?!
Aber vielleicht geht es ja genau darum: Nicht nur im Gottesdienst, sondern auch sonst zu beten, morgens, abends, zwischendurch. Doch solche Gebete verrichten viele Menschen allein, oder? Was ich Gott im Gebet anvertraue, ist etwas sehr Individuelles und Privates. Müsste es dann nicht „Bete“ heißen?
Und noch etwas anderes gefällt mir nicht: „Betet“ ist eine Aufforderung! Ich möchte mich eigentlich nicht zum Beten auffordern lassen, ich möchte das tun. Beten hat so viele unterschiedliche Formen… Und die wenigsten funktionieren so, dass ich mich erst daran erinnern lasse.
- Das Stoßgebet: „Nein, Gott, bitte nicht…“
- Das unbewusste Gebet: Ich erzähle, was passiert ist, und schließe mit: „Gott sei Dank, ist alles gut gegangen!“
- Das geschriebene Gebet: Menschen, die sich mit Stift und Notizbuch wohlfühlen, schreiben Gebete auf. Nicht erst das Geschriebene, schon das Schreiben ist Gebet.
- Das nachdenkliche Gebet: Etwas will mir nicht aus dem Kopf, ich mache mir Sorgen und erzähle Gott in meinen Gedanken davon. Dabei sortiert sich manches und am Ende weiß ich vielleicht sogar, worum ich genau bitte.
- Das eingeschliffene Gebet: Das Vater Unser können etliche Christen und Christinnen auswendig – oder können leicht einstimmen, wenn andere beginnen. Beten ohne Grübeln.
- Das verzweifelte Gebet: Etwas Schlimmes ist geschehen und ich frage: „Wie kannst du das nur zulassen? Musste das sein? Gibt es dich denn überhaupt?“
- Das gesungene Gebet: Wer singt, betet doppelt, heißt es. Ist es ein Gebet, wenn ich „Geh aus mein Herz“ vor mich hin summe? Und wenn es in der Chorprobe drankommt, was ist es dann?
- Das gelaufene Gebet: Wer pilgert, betet mit den Füßen, sagt man. Da ist jemand auf dem Weg, vielleicht mit Gott, vielleicht zu Gott hin, vielleicht auf den Spuren anderer Menschen, die Gott suchen.
Ich staune darüber, wie viele Gesichter das Beten hat. Auf wie viele Arten und Weisen Menschen Gott als Gegenüber erfahren, das ansprechbar ist. Dem sie sich anvertrauen. Und vielleicht hat diese Vielfalt ja auch etwas Ermutigendes? Oder macht Lust etwas auszuprobieren? Das wissen Sie am besten!
Und wenn Ihnen danach ist, mit anderen zusammen zu beten, kommen Sie gerne am Sonntag in den Gottesdienst nach Niederdorfelden!
Ganz herzliche Grüße
Ihre Pfarrer*innen
Maraike Heymann und Tobias Heymann