Dekan Martin Lückhoff über die Lage im Libanon und in Syrien
Wie lebt man in einem Land, das in einer tiefen Staats- und Wirtschaftskrise steckt? In dem staatliche Institutionen nicht mehr funktionieren. In dem eine galoppierende Inflation die Ersparnisse eines Lebens zusammenschmelzen lässt. In dem über 1,5 Millionen Geflüchtete als Folge des Krieges und des Erdbebens in Syrien aufgenommen wurden.
Im Libanon machte sich vor Kurzem eine Delegation der evangelischen Kirche Kurhessen-Waldeck (EKKW) ein Bild über die Lage vor Ort. Der Dekan des Kirchenkreises Hanau, Dr. Martin Lückhoff war mit Bischöfin Dr. Beate Hofmann und Ökumene-Dezernentin Claudia Brinkmann-Weiß zu Gast bei der Partnerkirche im Libanon. Eine lange geplante Reise nach Syrien konnte nicht stattfinden, Visa zur Einreise wurden nicht ausgestellt.
Die Kirche bleibt Hoffnungsträger für Kinder und ihre Familien
Lückhoff ist Vorsitzender des Arbeitskreises „Freundschaft mit der Rum-orthodoxen Kirche von Antiochia“. Seit Jahrzehnten pflegt er den Kontakt zu Bischof Audeh, Christinnen und Christen … und besucht in regelmäßigen Abständen die Region. Hatte er die Situation 2019 als „überaus schwierig“ bezeichnet, so sagte er nach seiner Rückkehr in Hanau: „Überleben dort ist für viele Menschen nur mit Hilfe aus dem Ausland möglich. Ich habe noch nie so viel Hoffnungslosigkeit in unterschiedlichsten Formen erlebt. Es gibt für viele Menschen keine Perspektiven mehr in diesen Ländern. Es gibt kaum Arbeit, die Bankkonten sind eingefroren. Wer kann, verlässt das Land.“
Der Libanon und Syrien sind Staaten im freien Fall. Korruption, Krieg und zuletzt das Erdbeben im Norden Syriens mit Tausenden Todesopfern, Millionen Flüchtlinge und eine galoppierende Inflation führen zu sozialen Verwerfungen unglaublichen Ausmaßes. Dass immer mehr Menschen um das tägliche Überleben kämpfen, Kinder hungern und keine Bildung mehr erhalten, ist für Lückhoff ein unhaltbarer Zustand. „Kinder bleiben ohne Bildung, weil Eltern das Schulgeld nicht mehr bezahlen können. Bleibt die nächste Generation ohne Bildung, wird sie die Probleme nicht bewältigen können.“
Umso weitreichender und von zentraler Bedeutung wird die Arbeit der Kirche vor Ort. Die kirchlichen Institutionen, – soziale Einrichtungen, Schulen und das Krankenhaus, das die Landeskirche seit vielen Jahren finanziell unterstützt, übernehmen mehr und staatliche Aufgaben. Diese „Leuchtturmprojekte“ stabilisieren die Region im Norden des Landes und verhinderten eine weitere Abwanderung der jungen Generation. Gerade diese Regionen sind durch Geflüchtete, die hier Zuflucht, Unterkunft oder medizinische Hilfe suchen, inzwischen völlig überlastet. Die Kirche ist der letzte Hoffnungsträger für die Region. Deshalb sind vor allem die Bildungsangebote, die Angebote für Mütter oder die Arbeit der Pfadfinder so wertvoll. Mit einfachen Mitteln leistet die Kirche dort das, was in Deutschland staatliche Institutionen leisten.
Die EKKW wird weiterhin mit Spenden helfen
In Beirut und in Akkar sprachen die Gäste aus Hessen mit Christinnen und Christen aus Kirche und Zivilgesellschaft. Der Metropolit von Beirut, Bischof Elias Audeh, berichtete über die Aufgabe, die sich durch die Bombenexplosion im Hafen 2020, aus dem massiven Verfall der Währung und die Migration ergäben. Nach Angeben des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit sind etwa 1,5 Millionen Menschen aus Syrien vor dem Krieg in ihrem Land in den Libanon geflohen. Bei einer Bevölkerung von 4,4 Millionen hat der Libanon so viele Geflüchtete aufgenommen wie kein anderes Land. Bischöfin Hofmann konnte über den Middle East Council of Churches (Kirchenrat des Mittleren Ostens) 10.000 Euro Spendengeld für die Erdbebenopfer im benachbarten Syrien übergeben. Die Gespräche vor Ort nutzte die Delegation auch, um persönlich Spendengeld aus Kurhessen-Waldeck für Erdbebenopfer zu übergeben. Samer Laham, MECC-Director of Emergency Response Services, versprach, über die konkrete Verwendung des Geldes für die vom Erdbeben betroffenen Familien zu berichten. „Ein Priester berichtete, dass er mit 2500 Euro 73 Familien einen Monat mit Lebensmittel unterstützen konnte. Es ist erstaunlich, wie viel relativ geringe Summen bewirken können.“
Beeindruckt hat die Delegation vor allem, dass Christinnen und Christen selbst angesichts der Fülle von Problemen nicht den Mut verlieren. „Wir sprechen nicht mehr von Problemen, sondern von Situationen“, sagte Erzbischof Audeh. Eine Situation kann man gestalten, damit kann man umgehen.
Dennoch wurde der kurhessischen Delegation eindrucksvoll vor Augen geführt, dass es ohne Hilfe von außen nicht geht. „Wir werden weiterhin humanitär helfen. Wir wollen Geld sammeln, um für Familien eine Grundversorgung zu ermöglichen. Und wir rufen eine Spendenaktion für die Schulen in Leben, damit für die Kinder das Schulgeld weitgehend entfällt. Die Landeskirche ist entschlossen, diese Aufgabe anzunehmen. Die Menschen im Libanon und Syrien brauchen unsere Hilfe. Wir bleiben mit den Menschen in Kontakt und werden uns weiterhin vor Ort die Situation schildern lassen“, sagte Dekan Lückhoff
Mehr zum Thema „Hilfe für Erdbebenopfer“ unter www.kirchenkreis-hanau.de und zum Engagement der EKKW gibt es hier auf ekkw.de.
Weitere Informationen:
Freundeskreis: „Freundschaft mit der Rum-Orthodoxen Kirche von Antiochia“
Dekan Dr. Martin Lückhoff
E-Mail: Martin.Lueckhoff@ekkw.de
Spenden
Empfänger: EKKW
IBAN: DE33520604100000003000
(Evangelische Bank Kassel)
Verwendungszweck: Z 760000004
Aus der Pressemitteilung der Landeskirche
Hintergrund: Seit über 30 Jahren im Austausch
Die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck und die Rum-Orthodoxe Kirche von Antiochia haben 1992 freundschaftliche Beziehungen aufgenommen. Mehrmals reisten Delegationen der Landeskirche seither in den Libanon sowie nach Syrien und die EKKW empfing Gäste aus der antiochenischen Kirche. Zudem führten Studienreisen von Gemeinden und kirchlichen Gruppen sowie der Evangelischen Akademie Hofgeismar zu intensiven Kontakten und Gesprächen. Ein landeskirchlicher Ausschuss koordiniert und begleitet die Arbeit. Hinzu kommt ein Freundeskreis, in dem Interessierte aus dem Raum der Landeskirche zusammenkommen. Von dem seit 2011 andauernden Bürgerkrieg in Syrien ist auch die Freundschaft der beiden Kirchen betroffen. Mehrfach schickten Landeskirche und Kirchenkreise materielle Hilfe. 2019 besuchte zuletzt eine kurhessische Delegation die befreundete Kirche im Nahen Osten.
Stichwort: Was bedeutet rum-orthodox?
Das Patriarchat von Antiochia nennt sich «rum-orthodox», wobei «rum» die arabische Wiedergabe von «rhomäisch» (byzantinisch-griechisch) ist: Es ist also das griechisch-orthodoxe Patriarchat arabischer Sprache. Aufgrund des Bürgerkriegs leben inzwischen mehr rum-orthodoxe Christinnen und Christen in Deutschland. Die Antiochenisch-Orthodoxe Metropolie von Deutschland und Mitteleuropa betreut sie in ihren Gemeinden. Mehr dazu im Internet unter rum-orthodox.de